Wohnungsbau in Schleswig-Holstein: Wenn Realität und Zielsetzung auseinanderdriften

In Schleswig-Holstein fehlt es an Wohnraum – bezahlbar, verfügbar, klimafreundlich soll er sein. Doch die Realität sieht anders aus: Die Zahl der Baugenehmigungen bricht ein, Investoren ziehen sich zurück, Eigentümer stehen vor einem gewaltigen Sanierungsbedarf, und viele Kommunen erhöhen ihre Grundsteuerhebesätze. In der Folge steigen Mieten, verschärft sich die soziale Schieflage, und politische Ziele geraten ins Wanken. Dieser Artikel beleuchtet Ursachen, aktuelle Entwicklungen und strukturelle Hindernisse – und fragt, was sich ändern muss.

Faktencheck Wohnungsbau SH

  • -42 %: Rückgang der Baugenehmigungen seit 2021
  • 57 %: der Wohnungen im Kreis Pinneberg sind sanierungsbedürftig
  • 32 %: Sozialwohnungen im Kreis verlieren bis 2029 ihre Bindung
  • 400 Mio. €: Fördermittel pro Jahr – reichen für nur 1.900 WE
  • 80 %: der Kommunen haben 2025 die Grundsteuer B erhöht

Einbruch beim Neubau: Zahlen, die alarmieren

2024 wurden in Schleswig-Holstein nur rund 9.600 Neubauwohnungen genehmigt – ein Rückgang von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Vergleich zu 2021 beträgt das Minus sogar 42 Prozent. Gleichzeitig sank auch die Zahl der tatsächlich fertiggestellten Wohnungen: Mit rund 11.000 neuen Einheiten wurde der Wohnraumbedarf erneut deutlich verfehlt. Der Mieterbund geht davon aus, dass jährlich rund 15.000 Mietwohnungen gebaut werden müssten, um der Nachfrage gerecht zu werden. Die Lücke wächst – Jahr für Jahr.

Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig und strukturell:

  • Die Finanzierungskosten für Neubauten sind durch das gestiegene Zinsniveau drastisch gestiegen. Viele Projekte, die vor zwei Jahren noch wirtschaftlich darstellbar gewesen wären, sind heute faktisch nicht mehr finanzierbar.
  • Die Baukosten sind in nahezu allen Bereichen gestiegen: Baumaterialien, Handwerksleistungen, Planung, Genehmigungen – alles ist teurer geworden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Energieeffizienz und Klimaschutz.
  • Komplexe Genehmigungsprozesse, überlange Planungsverfahren, wechselnde politische Mehrheiten und zusätzliche Auflagen bremsen viele Projekte aus. Ein Beispiel: In Niendorf vergingen vom Grundstückskauf bis zum Baustart elf Jahre.

Insgesamt ergibt sich daraus ein Bild, das in der Branche oft als toxisch beschrieben wird: hohe Kosten, unklare Perspektiven, keine Planungssicherheit – für Investoren, Bauträger und Kommunen gleichermaßen. Das Ergebnis: Neubauten finden fast nur noch dort statt, wo Projekte schon seit Jahren vorbereitet sind. Neue Vorhaben hingegen werden kaum noch angestoßen.

Förderung, Netzwerke, gute Absichten – aber wenig Wirkung

Die Landesregierung hat 2025 das „Netzwerk Planen, Bauen, Wohnen“ gegründet. Ziel: gemeinsam mit Wohnungswirtschaft, Sozialverbänden, Kommunen, Baugewerbe und Energieträgern Lösungen für den Wohnraummangel entwickeln. 24 Organisationen sitzen mit am Tisch, darunter auch kritische Stimmen wie der Mieterbund oder der Verband „Haus & Grund“.

Ein ambitioniertes Ziel dieses Bündnisses ist es, die Wohnraumschaffung mit der angestrebten Klimaneutralität bis 2040 zu vereinbaren – also fünf Jahre früher als auf Bundesebene. Das sorgt für Reibung: Vertreter der Wohnungswirtschaft kritisieren, dass zusätzliche Auflagen für Heizung, Dämmung und erneuerbare Energie den Bau verteuern – und damit letztlich auch die Mieten.

Die Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack hält dagegen: Die Klimaziele seien nicht verhandelbar. Gleichzeitig stellt sie in Aussicht, dass Eigentümer, die jüngst noch in fossile Heizsysteme investiert haben, nicht allein gelassen werden sollen. Doch wie genau Förderprogramme, Übergangsfristen und Ausnahmen aussehen, ist noch unklar.

Tatsache ist: Selbst die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau – jährlich 400 Millionen Euro – reichen unter den heutigen Bedingungen kaum mehr aus. Aufgrund der Baukostensteigerungen können von diesem Betrag nicht mehr 4.000, sondern nur noch rund 1.900 geförderte Wohneinheiten finanziert werden. Auch deshalb setzt das Land inzwischen auf „Regelstandard E“: ein vereinfachtes, kostengünstigeres Baukonzept mit reduziertem technischen Anspruch.

Energetische Sanierung im Bestand: ein unterschätzter Kraftakt

Neben dem Neubau gerät zunehmend auch der Wohnungsbestand in den Fokus. Eine Analyse des Pestel-Instituts zeigt: Im Kreis Pinneberg sind 57 Prozent aller Wohnungen älter als 45 Jahre – mit entsprechend hohem Sanierungsbedarf. Veraltete Heizsysteme, fehlende Dämmung, marode Fenster: Um den Gebäudebestand bis 2045 klimaneutral zu machen, wären jährlich über 500 Millionen Euro Investitionen nötig – allein in einem einzigen Kreis.

Der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel warnt vor einem „Mammutprojekt“ und fordert, energetische Sanierungen deutlich besser zu fördern. Andernfalls würden viele Eigentümer – vor allem private Kleinvermieter – die Maßnahmen nicht stemmen können. Auch Mieter wären betroffen: Entweder durch ausbleibende Modernisierung oder durch stark steigende Mieten nach Sanierung.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass immer mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen. Im Kreis Pinneberg betrifft das bis 2029 rund 32 Prozent aller aktuell geförderten Wohnungen – in Elmshorn sogar 45 Prozent. Damit entfällt ein wichtiger Schutzmechanismus für niedrige Mieten.

Grundsteuerreform: Belastung für Eigentümer, Risiko für Mieter

Die Reform der Grundsteuer entfaltet 2025 erstmals spürbare Wirkung – auch in Schleswig-Holstein. In rund 80 Prozent der Kommunen wurde der Hebesatz für die Grundsteuer B (also für Wohngrundstücke) erhöht. Auch wenn das Land betont, dass es sich dabei nicht um eine verdeckte Steuererhöhung handelt, steigen für viele Eigentümer die jährlichen Kosten.

Hintergrund: Durch das neue Berechnungsmodell wird gewerbliches Eigentum geringer belastet. Um das Gesamtaufkommen stabil zu halten, mussten viele Kommunen den Hebesatz bei Wohnimmobilien anpassen. Eigentümerverbände wie „Haus & Grund“ kritisieren diese Umverteilung – mit dem Hinweis, dass die Kosten am Ende häufig auf die Miete umgelegt werden.

Wachsende soziale Spannungen

Die Folge all dieser Entwicklungen: Der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt – besonders für Menschen mit geringem Einkommen oder in prekären Lebenssituationen. Im Kreis Pinneberg stieg die Zahl wohnungsloser Menschen Anfang 2024 auf über 3.600 – Tendenz steigend. Auch Wohngruppen, Frauenhäuser und soziale Träger melden zunehmend, dass Klienten keine geeigneten Anschlusswohnungen finden.

Kommentar: Die Politik muss sich ehrlich machen – auch in Wedel

Die Lage ist komplex, aber die Richtung ist klar: Wenn sich nichts Grundlegendes ändert, wird bezahlbares Wohnen in Schleswig-Holstein zum Luxusgut. Fördermittel allein werden das Problem nicht lösen – wenn sie nicht mit Planungsvereinfachungen, klaren Prioritäten und besserer Steuerung kombiniert werden. Viele Kommunen blockieren sich selbst – durch widersprüchliche Beschlüsse, zusätzliche Abgaben und fehlende Entscheidungen.

Ein „Bauturbo“ lässt sich nicht verordnen, solange Bauherren nicht wissen, ob und wann ein Projekt realisiert werden kann. Und eine sozial gerechte Klimapolitik funktioniert nur dann, wenn energetische Anforderungen nicht zum Ausschlusskriterium für Mieter und Eigentümer werden.

Auch in Wedel spüren wir diese Entwicklungen konkret:

  • Die Zahl neuer Bauprojekte stagniert, auch weil sich Investoren angesichts der unsicheren Rahmenbedingungen zunehmend zurückziehen.
  • Die Infrastrukturfolgekostenabgabe verteuert neue Wohnungen zusätzlich – eine sachlich nachvollziehbare, aber in der aktuellen Marktlage schwer vermittelbare Maßnahme.
  • Energetische Sanierungen im Bestand scheitern oft an den finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer, besonders bei älteren Mehrfamilienhäusern.
  • Gleichzeitig wächst der soziale Druck: Wer in Wedel günstigen Wohnraum sucht, stößt auf kaum verfügbare Alternativen.

Wedel wird Teil der Lösung sein müssen – aber das geht nur mit einem realistischen Blick auf die tatsächlichen Herausforderungen: Weniger Symbolpolitik, mehr Klarheit, Verlässlichkeit und Mut zu pragmatischen Entscheidungen. Was wir brauchen, sind machbare, finanzierbare und lokal abgestimmte Lösungen – mit Fokus auf Tempo, Nutzung von Flächenpotenzialen, Entbürokratisierung und echte Priorisierung des Wohnens.

Quellen & Hintergründe

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