Wenn Kritik vor Gericht landet

Ein persönlicher Bericht über Abmahnung, politische Deutungshoheit und die Frage, was gesagt werden darf

Manche Geschichten beginnen nicht mit einem großen Knall. Sondern mit einer E-Mail.

Als ich am 12. Mai 2025 Post von der Kanzlei eines ehemaligen Bürgermeisters erhielt, ahnte ich bereits, worum es ging: Um meinen Artikel „Fakten statt Mythen“, erschienen auf wedel-politik.de. Darin hatte ich das Abwahlverfahren eingeordnet, die öffentliche Debatte rekonstruiert und politische Verantwortung klar benannt.

Was folgte, war eine juristische Auseinandersetzung um Formulierungen, Deutungen und das Recht auf Kritik. Eine Abmahnung. Eine Unterlassungserklärung. Ein Antrag auf einstweilige Verfügung. Und die grundsätzliche Frage: Wo endet politische Analyse und wo beginnt Persönlichkeitsverletzung?

In diesem Text erzähle ich, wie es dazu kam. Was beanstandet wurde. Was nicht. Und warum der Fall weit über mich hinausweist.

Worum es in der Abmahnung geht und worum nicht

Beanstandet wurden einzelne Formulierungen meines Artikels „Fakten statt Mythen“, darunter:

– „Ein Held, der keiner war“

– „Ein Bürgermeister, der sein Team verlor …“

– „Statt Führung: Rückzug hinter juristische Formeln“

– „Ein Klima der Angst“

Bemängelt wurde insbesondere, dass ich zwar erwähne, dass die Verfahren gegen Herrn Kaser eingestellt wurden, dies aber, so der Anwalt, nicht ausreichend entlastend darstelle.

Nicht beanstandet wurden hingegen:

– die Mitarbeiterbefragung (94 % kritisieren das Führungsverhalten),

– die Stellungnahme des Personalrats mit deutlicher Kritik,

– meine Analyse der politischen Gründe für die Abwahl mit Quellen,

– sowie der Abschnitt über Wahlkampfstrategie und Kasers Website.

Mit anderen Worten: Nicht das Ob der Kritik wurde angegriffen, sondern ihr Ton, ihre Form. Das ist legitim. Aber es ist auch bezeichnend.

Die Unterlassungserklärung

Dem Schreiben beigelegt war eine sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärung. Ich sollte mich verpflichten, künftig bestimmte Aussagen nicht mehr zu äußern oder eine hohe Vertragsstrafe riskieren.

Konkret sollte ich meine politische Bewertung durch eine vorgegebene Lesart ersetzen: die Lesart desjenigen, um dessen Amtsführung es geht. Das betrifft nicht nur die Formulierungen, sondern auch die Art der Einordnung, etwa zur politischen Relevanz der eingestellten Verfahren.

Juristisch wurde das Ganze mit Persönlichkeitsrecht und Sorgfaltspflicht begründet. Politisch aber bleibt der Eindruck: Hier soll jemand mundtot gemacht werden, weil er sich weigert, seine Kritik in Watte zu packen.

Zur Erinnerung: Ich bin kein Journalist, sondern Kommunalpolitiker. Ehrenamtlich. Ich habe das politische Geschehen eingeordnet und öffentlich zur Diskussion gestellt, wie es in einer offenen Stadtgesellschaft sein sollte.

Warum ich nicht unterschrieben habe

Ich habe die Unterlassungserklärung nicht unterschrieben. Nicht aus Trotz. Sondern aus Verantwortung.

Wer sich verpflichtet, bestimmte Formulierungen nicht mehr zu äußern, gibt nicht nur juristisch nach, sondern übernimmt am Ende auch die Deutung desjenigen, den er kritisiert hat. Genau dazu bin ich nicht bereit.

Ich habe die Angelegenheit einem Anwalt übergeben. Die Antwort war juristisch fundiert, sachlich klar und grundrechtlich abgesichert. Die zentrale Botschaft: Was ich geschrieben habe, ist rechtlich zulässig, politisch notwendig und demokratisch legitim.

Die Eskalation: Einstweilige Verfügung statt Einsicht

Statt sich mit dieser Antwort auseinanderzusetzen, beantragte Herr Kaser beim Landgericht Itzehoe eine einstweilige Verfügung. Der Vorwurf: angeblich rechtswidrige Aussagen, angeblich diffamierender Kontext, angeblich selektive Auslassung entlastender Umstände.

Es geht also nicht nur darum, was gesagt wurde, sondern wie ich es hätte sagen sollen. Oder anders gesagt: Es geht nicht um Aufklärung, sondern um Deutungshoheit.

Fünf Wochen Funkstille und dann die Überraschung

Fünf Wochen lang: nichts. Keine Nachricht vom Gericht, keine Reaktion. Schließlich hakte mein Anwalt nach und erfuhr: Der Antrag auf einstweilige Verfügung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die Gegenseite hat dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt.

Wir haben Akteneinsicht beantragt und unsere Sicht der Dinge vorgetragen. Ziel: die Beschwerde ebenfalls zurückweisen lassen und ein deutliches Signal setzen.

Die Entscheidung des OLG: Deutlich und eindeutig

Am 24. Juli hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht entschieden: Die Beschwerde wird vollumfänglich zurückgewiesen.

Das Gericht stellt klar: – Die Aussagen sind zulässige politische Wertungen.

– Sie beruhen auf öffentlich zugänglichen Fakten.

– Es handelt sich nicht um Schmähkritik.

– Wer sich öffentlich äußert, muss öffentliche Einordnung aushalten.

Ein besonders wichtiger Punkt: Herr Kaser selbst hat durch seine Veröffentlichungen die Debatte wieder angeheizt. Wer öffentlich agiert, kann nicht verlangen, dass andere schweigen.

Für mich ist das mehr als ein juristischer Erfolg. Es ist ein deutliches Zeichen: Kritik bleibt erlaubt. Und politische Verantwortung darf und muss öffentlich benannt werden, auch wenn es unbequem ist.

Was auf dem Spiel steht

Es geht längst nicht mehr nur um mich. Sondern um eine Grundsatzfrage: Darf politische Kritik frei geäußert werden oder drohen künftig Abmahnung und Unterlassung, sobald sich jemand in seiner Ehre verletzt fühlt?

Wenn wir zulassen, dass Kritik nicht mehr laut sein darf, verlieren wir die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen. Demokratie braucht Auseinandersetzung. Und sie braucht Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, auch für unbequeme Worte.

Und ich?

Ich werde weiterschreiben. Weil ich überzeugt bin, dass Kritik kein Angriff ist, sondern ein Beitrag. Und weil ich glaube, dass Vertrauen nur dort entsteht, wo Dinge beim Namen genannt werden auch dann, wenn sie weh tun.

Was das mit einem macht

Zwei gerichtliche Instanzen, anwaltlicher Schriftverkehr, Fristen, Unsicherheit. All das nur, weil man eine politische Meinung äußert. Weil man Dinge einordnet, Verantwortung benennt, Missstände anspricht. Ich hätte mir das einfacher vorgestellt. Es belastet. Es kostet Kraft, Zeit, Geld und irgendwann fragt man sich, ob es das wert ist.

Aber genau darin liegt die Gefahr: Dass man beginnt zu zögern, stiller wird, ausweicht. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir über solche Versuche, Kritik zu unterbinden, nicht schweigen. Dass wir zeigen: Meinungsfreiheit ist nicht bequem, aber sie ist unverzichtbar.

Ich schreibe nicht, um zu verletzen. Ich schreibe, weil ich Verantwortung trage – als Kommunalpolitiker, als Bürger, als jemand, der sich um diese Stadt sorgt. Und das lasse ich mir nicht nehmen. Nicht heute. Und nicht in Zukunft.

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